Was wir entdeckt haben

Die Schülerinnen des TP-Jüdisches Leben in Lippstadt, berichten über ihre Forschungsergebnisse.

„Auf Walter Sostheim lies meine Mutter nichts kommen.“

Interview vom 14. März 2024 mit Herrn Dieter Brand

von Leonie Bier, Vladyslava Kononenko, Carolina Heiler, Liana Kaist

Dieter Brand wurde 1944, ein Jahr vor dem Kriegsende, geboren; hat also die Herrschaft der Nationalsozialisten und die Judenverfolgung nicht selbst erlebt. Er erinnert sich aber klar an die Erzählungen seiner Mutter, die vor 20 Jahren starb.

Der jetzt 80-jährige Kriminalbeamte im Ruhestand, berichtete über die Bürstenfabrik von Walter Sostheim, bei der seine Mutter bis zur Arisierung der Firma durch die Behörden arbeitete.

Josefine Brand, geboren Hennebühl, war eine ausgebildete Buchhalterin und wohnte lange Zeit in Anröchte, bevor sie nach Lippstadt in die Bastionstraße zog. Hier wuchs Dieter Brand  auf. Sein Vater arbeitete als Lokführer im öffentlichen Dienst und war ein Anhänger der NSDAP. Im Gegensatz zu seiner Mutter, äußerte er sich öffentlich judenfeindlich.

In der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg, wurde in den Familien und in der deutschen Öffentlichkeit kaum über die NS-Diktatur und den Krieg gesprochen. Herr Brand berichtete, dass er zuhause Fragen darüber stellen durfte und seine Mutter nur gute Dinge über Herrn Sostheim und den Juden in Lippstadt erzählte.

Auf unsere Frage, was seine Mutter über das Schicksal der Familie Sostheim oder der anderen jüdischen Bürger wusste, konnte Dieter Brand keine genauen Angaben machen. Viele wussten wohl, dass die Juden mit Beginn des Krieges 1939 weggekommen bzw. weggeführt wurden. Aber sie wussten nicht, wohin sie die Juden brachten und was sie mit ihnen machten. Und sie trauten sich nicht nachzufragen, denn wenn sie zu viel gefragt hätten, hätte es Probleme gegeben. Es seien auch  Dinge gesagt worden, wie z.B. „Willst du ein guter Deutscher sein, kaufe nicht beim Juden ein”. Diese Propaganda und die Unwissenheit seien auch nach dem Kriegsende bestehen geblieben, und sogar bis zu diesem Tag wolle nicht jeder über diese Themen sprechen.

Dieter Brand berichtete auch einiges über die Bürstenfabrik. Für Walter Sostheim war sie sehr wichtig und der „Verkauf“ der Fabrik habe ihn tief verletzt. Die Fabrik, mit ca. 40 Arbeitern und Angestellten, produzierte Bürsten und Besen aus Pferdehaaren. Das Ansehen der Firma sei sehr hoch gewesen und sie verkauften ihre Produkte von Deutschland aus bis nach Amerika. Die wirtschaftliche Lage der Fabrik war entsprechend gut, wozu auch das gute Betriebsklima beigetragen habe. Walter Sostheim sei eine sehr  soziale und hilfsbereite Persönlichkeit gewesen. So habe es seine Mutter immer wieder gesagt. Er machte Geschenke für seine Mitarbeiterinnen zu verschiedenen Anlässen, z.B. einer Hochzeit, die Geburt eines Kindes oder an hohen Feiertagen. Als die Oma von Herrn Brand schwer an Krebs erkrankte und dringend nach Münster in die Klinik gefahren werden musste, habe Walter Sostheim Oma und Mutter kurzerhand in sein Auto gepackt und beide persönlich nach Münster gefahren. Dieter Brands Fazit:  Seine Mutter habe immer nur Gutes über Walter Sostheim berichtet und es sei eine Schande, was ihm und seiner Familie angetan wurde.

Zwei Geschenke von Walter Sostheim an Josephine Brand befinden sich immer noch im Familienbesitz:

Isaac Rosenfeld

Wir haben uns im Team Projekt „Jüdisches Leben“ mit Isaac Rosenfeld beschäftigt, wer er war und wie wir auf ihn gekommen sind, erfahrt ihr in diesem Artikel.

Sich mit der Geschichte der jüdischen Bürger in unserer Stadt zu beschäftigen, heißt auch, Orte mit jüdischer Vergangenheit zu besuchen.

So kamen wir in die Lippstädter Synagoge, die sich in der Stiftstraße 7 befindet. Sie wurde im Jahr 1852 von der Jüdischen Gemeinde in Lippstadt eingeweiht. Am 9. November 1938, im Zuge der Reichspogromnacht, brannte sie fast völlig aus. Vier Tragwände blieben erhalten und 1988 wurde sie mit dem Nebengebäude unter Denkmalschutz gestellt.

Im Garten der Synagoge gibt es ein Häuschen, in dem sich die Toiletten der Schüler und Schülerinnen der Sonntagsschule und eine Sommerküche befand. Für den Rabbi diente das Häuschen sehr wahrscheinlich als Umkleideraum. Wie an unserer Schule auch, wurden damals viele Sprüche und Bilder an die Toilettentüren und an die Wände gemalt; diese nennt man heute Graffiti. An genauso einer Wand entdeckten wir die Zeichnung eines Mannes mit Hut und Pfeife. Wir konnten den Namen, der daneben stand, entziffern. Er hieß Isaac Rosenfeld.

Wir überlegten uns was das Bild bedeuten könnte und vermuteten, dass sich Schüler einen Spaß erlaubt hatten und hier auf lustige Art und Weise ein Lehrer dargestellt wurde.

Mit dieser Vermutung im Gepäck, gingen wir ins Stadtarchiv. Frau Dr. Becker legte uns eine Reihe von Quellen vor, die sich auf einen Isaac Rosenfeld in Lippstadt bezogen.

Es war tatsächlich “unser” Isaak Rosenfeld, Religionslehrer an der Synagoge.

Er wurde am 31. August 1848 in Rüthen geboren und an der Haindorfschen Stiftung in Münster ausgebildet. Seine Eltern hießen Marianna und Herz Rosenfeld. Er hatte zwei Geschwister.

Isaac Rosenfeld war zunächst in Werl tätig und erhielt 1882 eine Lehrerlaubnis für die Jüdische Elementarschule in Lippstadt. 1897 wurde ihm aus Geldmangel gekündigt und er arbeitete eine Zeit lang als Versicherungsinspektor. Als Nebenverdienst nahm er jüdische Ostendorfschüler bei sich auf. Sie kamen von außerhalb und konnten so in Lippstadt ein Gymnasium besuchen. 1910, nach der Schließung der jüdischen Elementarschule, übernahm Rosenfeld den nachmittäglichen Religionsunterricht in der Synagoge.

Was wissen wir sonst noch über ihn? Isaak Rosenfeld war stolzer Deutscher. Er kämpfte als Soldat im Deutsch - Französischen Krieg 1870/71 und war Mitglied im “Reichsbund Jüdischer Soldaten”. Mit seiner Frau Emilie Rosenfeld bekam er zwei Töchter. Ida (1885-1966) und Amalie (1884-1972) waren, wir wir auch, Schülerinnen des Evangelischen Gymnasiums.

Sie überlebten die Verfolgung durch die Nationalsozialisten und sind in Haifa, Israel, begraben.

Isaak Rosenfeld starb am 26.11.1933 und wurde neben seiner Frau auf dem jüdischen Friedhof in Lippstadt begraben. Dort kann man ihn heute noch besuchen.

 Von: Linnea Thamm, Siglind Steinbiß, Marie Kasprik, Helena Bleck

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